Seit einem halben Jahr im Amt – ein Gespräch mit Hans Georg Schnücker, Vorstandsvorsitzender des VHZV

Wiesbaden, 22.12.2014 – Der DJV Hessen sprach mit Hans Georg Schnücker, Vorstandsvorsitzender des Verbands Hessischer Zeitungsverleger VHZV, über die Zukunft des Verbands und über Prioritäten seiner Arbeit. Hans Georg Schnücker ist seit dem 23. Mai 2014 Vorstandsvorsitzender des Verbands Hessischer Zeitungsverleger VHZV.
Hans Georg Schnücker, Vorstandsvorsitzender des Verbands Hessischer Zeitungsverleger VHZV und Sprecher der Geschäftsführung der Verlagsgruppe Rhein Main. Foto: Sonja Lehnert

Hans Georg Schnücker, Vorstandsvorsitzender des Verbands Hessischer Zeitungsverleger VHZV und Sprecher der Geschäftsführung der Verlagsgruppe Rhein Main. Foto: Sonja Lehnert

Er ist Sprecher der Geschäftsführung der Verlagsgruppe Rhein Main. Zu seinem Stellvertreter wurde Harold Grönke, Geschäftsführer der Verlag Dierichs GmbH & Co KG (Verlag der „Hessische/Niedersächsische Allgemeine“ HNA mit ihren Regionalausgaben) in Kassel, gewählt.

DJV: Wie ist Ihrer Meinung nach der aktuelle Stand der Zeitungsbranche in Deutschland und speziell in Hessen?

Hans Georg Schnücker: Ich denke, die Zeitungsbranche ist in der Realität angekommen. Es gibt nicht mehr DEN typischen Zeitungsverlag von früher. Die Entwicklung ist bei den einzelnen Verlagen auch ganz unterschiedlich vorangegangen. Es gibt Verlage mit breitem Portfolio, die sich sehr stark diversifiziert haben. Andere, reine Zeitungsverlage, sind bei ihrem Printangebot aus der Vergangenheit geblieben. Diese Unterschiede sind vorhanden und man muss jetzt sehen, wo der gemeinsame Nenner liegt. Die Frage ist, wo sind die eigentlichen Aufgaben in der Zukunft. Das ist die Diskussion, die im Bundesverband, aber auch in den Landesverbänden geführt wird, und die erst am Anfang steht. Der Verband weiß, dass Handlungsbedarf besteht. Ich glaube, dass „die Zeitung“ Zukunft hat. Es gibt viel Bewegung und eine Fülle von Themen, die die Verlage im Kernbereich alle gemeinsam haben. Die Bereitschaft, die Themen anzugehen ist unterschiedlich, aber die Zwänge von außen werden immer stärker.

DJV: Wird durch die Zunahme der Schwierigkeiten das Bedürfnis größer, zusammenzuarbeiten?

Schnücker: Die Bereitschaft wird sich erhöhen, in den nächsten Jahren in den verschiedensten Feldern zusammenzuarbeiten. In der Vergangenheit hat sich das in einigen Teilbereichen auch schon gezeigt. Vor 20 Jahren wäre es undenkbar gewesen,  in der Logistik zusammenzuarbeiten. Unmöglich, weil der Vertrieb ein Wettbewerbsfaktor war. Heute kommt es auf den Inhalt an und nicht, von wem die Zeitung geliefert wird. In Zukunft wird es weitere Themen geben, um sich besser aufstellen zu können.

DJV: Wie sehen sie die Stellung des Hessischen Verlegerverbandes bundesweit? Gibt es  Unterschiede zu den anderen Bundesländern?

Schnücker: Hessen hat sehr viele Mitglieder, die auch sehr unterschiedlich sind. Vom Kleinstverleger über FAZ und Societät bis zu Gruppen wie Ippen und Madsack ist alles vertreten. Das macht Hessen spannend und ist damit auch für den Gesamtverband wichtig. Der Hessische Landesverband ist im Bundesverband stark engagiert und einer der wichtigsten Verbände bundesweit.

DJV: Liegt das an den großen Verlagen?

Schnücker: Es liegt AUCH an den großen Verlagen.

DJV: Beleben sie die Szene oder macht diese Konkurrenz eher Angst?

Schnücker: Die großen Verlage sind durch ihre Größenordnung sehr professionell aufgestellt und kleinere Mitbewerber können davon lernen. Es handelt sich um eine Belebung im positiven Sinn, Angst wir dadurch nicht geschürt. Durch ihren Größenvorteil sichern sie die Märkte und können die Zeitungswelt tragen.

DJV: Wie drückt sich die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei den unterschiedlichen Verlagen aus?

Schnücker: Für Zeitungsverlage besteht die, auch für die Zukunft schwierige, Pressefusionskontrolle. 2013 wurde die GWB Novelle in Kraft gesetzt, die mit der Anhebung der Aufgreifschwelle ein bisschen mehr Spielraum gibt, aufgrund der vollkommen veränderten Situation auf Dauer aber nicht tragen wird. Die Fusion kleinerer Verlage wird durch die Anhebung der Schwellen erleichtert. Aber schon Verlage mittlerer Größe können sich nicht mehr in diesem Rahmen bewegen. Wenn sich daran nichts ändert, bleibt es wie heute und die Zusammenarbeit beschränkt sich auf wettbewerbsneutrale Bereiche wie Druckerei, Logistik oder Verwaltung und nicht in der Redaktion, im Verkauf oder Lesermarkt.

DJV: Würde aber gerade dadurch nicht die Meinungsvielfalt beschränkt?

Schnücker: Das glaube ich nicht. Vorhaben mit dieser Tendenz untersagt das Kartellamt und die Verlage können sich das bei der jetzigen Entwicklung der Märkte auch gar nicht erlauben. Sie haben aufgrund der Demografie große Probleme mit der Auflagenhöhe und können sich einen weiteren Rückgang nicht mehr leisten. Außerdem müssten sie sich dann auch von den Leserinnen und Lesern fragen lassen, ob sie im Bemühen um redaktionelle Qualität nachließen.

DJV: Ist das denn das Bestreben der Zeitungsverleger, die Qualität zu erhalten?

Schnücker
: Ja, das ist meine Wahrnehmung. Was ist für Zeitungen der einzigartige Produktvorteil? Für die nationale Presse ist das eine ganz schwierige Frage, da alles, was über die Öffentlich-Rechtlichen, ARD, ZDF, unterwegs ist, eine hohe Qualität von gut ausgebildeten Journalistinnen und Journalisten hat. Und sie treten an gegen FAZ.net und Spiegel online.

Bei den Regionalen ist das anders. Da gibt  es noch den einzigartigen Produktvorteil. Ich kann da nur von uns sprechen, wir haben versucht, die ganze Kraft in die Weiterentwicklung der lokalen Berichterstattung zu stecken. Das ist das Feld, das alleine bespielt wird und für Wettbewerber in der Zukunft schwierig zu bedienen ist.

Eine neu gegründete Online-Lokalzeitung  muss zum Beispiel auch Menschen beschäftigen, um bei der Berichterstattung in die Tiefe gehen oder ihre Seitenumfänge erweitern zu können. Wenn es  uns gelingt, aus unseren Journalisten, etwa 200 festangestellte Redakteure, Mitarbeiter zu machen, die von der Medienkonvergenz überzeugt sind, dann haben wir auch die Möglichkeit, alle Kanäle bespielen zu können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind aber nur die einen 50 Prozent, die zweiten 50 Prozent sind die Menschen, die bereit sind für digitale Angebote auch zu bezahlen. Das ist das nächste große Thema. An diesem Punkt stehen wir und deshalb glaube ich nicht, dass es sich Zeitungsverlage erlauben können, genau in diesem Feld zu sparen. Eher aus  Synergien und Zusammenarbeit Kraft schöpfen, um in diesem Feld zu investieren.

DJV: Die Zahlmoral der Leserinnen und Leser ist also die andere Frage – wie kann das Bezahlen anders geregelt werden? Haben die Zeitungsverlage Ideen, nachdem sie den Einstieg verschlafen haben?

Schnücker: Bei dieser rasanten Entwicklung würde ich nicht davon sprechen, den Einstieg verschlafen zu haben. Man kann heute ja gar nicht mehr sagen, wie sich etwas entwickelt – es ist eine komplett veränderte Welt. Es kann auch niemand sagen, ob zum Beispiel Facebook  in zehn Jahren noch besteht.  Ich wehre mich dagegen, wenn man sagt, da hat man etwas verschlafen. Anfangs schaute man auf die Reichweite, um damit über Werbung alles zu finanzieren.
Bei den Zeitungen hat man ja ein begrenztes „Inventar“ für Werbung, die Seitenzahl zum Beispiel, Online ist dagegen unbegrenzt. Wenn sie 100 Euro im Print an Werbeeinnahmen haben, haben sie online einen Euro. Mit Werbung ist das ganze also nicht zu finanzieren. Das musste man aber erst einmal ausprobieren.

Was Mut macht ist, dass Leserinnen und Leser bereit sind, für ein Print-/Online-Abo zu zahlen, ebenso die Entwicklung der ePaper, deren Auflagen steigen. Wir haben aber auch  16.000 Kunden befragt und 96 Prozent von ihnen möchten ihre Zeitung weiter im Printformat haben.

Was kommt aber danach? Wer Kinder hat weiß, dass die älteren noch Print lesen, die jüngeren lesen online oder gar nicht. Bei einer rein theoretischen Betrachtung darüber, wenn man von heute auf morgen den Hebel umlegen, alle Printprodukte auf digital umstellen würde und alle Kunden das Produkt digital akzeptierten, wären alle Zeitungshäuser wieder hochprofitabel, weil sie die Kosten der Produktion und des Vertriebs einsparten. Die Frage ist, wie lange dauert dieser Prozess noch. Von 120 Kunden haben heute beispielsweise 20 Kunden das ePaper. Was wird aus der Zustellung, wenn 60 Kunden ePaper beziehen? Niemand kann sagen, was in ein paar Jahren sein wird. Man muss dann spontan reagieren.

Eine weitere große Herausforderung ist auch das Berufsbild. Ich arbeite eng mit der IHK und Handwerkskammer zusammen und erlebe, dass pro Jahr 25 Prozent der Ausbildungsberufe wechseln: Ein Viertel ist ganz verschwunden, dafür kommt ein neues Viertel hinzu. An den Verlagskaufmann und die Verlagskauffrau erinnert sich kaum noch jemand.
Eine häufig von den Jüngeren gestellte Frage ist, ob es denn noch interessant ist, in dieser Branche zu arbeiten? Ich sage immer: Natürlich, das sind ja tolle Berufe. Aber genau wie in jeder anderen Branche ist es auch bei den Medien so, dass man den Beruf heute nicht mehr erlernt, um dann den Rest des Lebens unverändert in diesem Beruf zu arbeiten. Das stellt natürlich unglaubliche Anforderungen an die jungen Menschen. Doch die, die das wollen und sich mit den Erfordernissen verändern, werden erfolgreich sein. Ein wichtiger Aspekt ist außerdem, dass die Digitalisierung ja in allen Branchen zuschlägt. Was passiert mit dem Einzelhandel unter dem Einfluss von Amazon, der Automobilindustrie mit der Entwicklung von Autos, die alleine fahren oder den Banken, die Filialen schließen, weil so viele Kunden zum Online-Banking gewechselt sind.

DJV: Wie sehen die Pläne des Verbands für die nahe Zukunft aus?

Schnücker: Wir müssen die Interessen der Mitglieder des Verbandes koordinieren und uns die Frage stellen, wie gehen wir mit den Herausforderungen in der digitalisierten Welt um. Was bedeutet das für uns? Verändern sich die Organisationsformen? Der Verband soll eine Plattform für Wissensaustausch sein und einen Transfer ermöglichen, bei dem der eine vom anderen lernen kann.

Ein großes Thema sind medienpolitische Fragen, Lobbyarbeit, die Diskussion um das duale System. In Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und im Saarland sind starke öffentlich-rechtliche Sender unterwegs, die über ein riesiges Anzeigenvolumen verfügen. Auf diesen Märkten sind wir auch tätig, Private haben da aber kaum eine Chance. Diese Diskussion wird in Zukunft verstärkt geführt werden müssen, wenn man will, dass es in Deutschland eine frei geführte Medienlandschaft gibt.

Ein weiteres zentrales Thema ist die Ausbildung. Es gibt spannende Diskussionen in Verbindung mit den Bildungsträgern, Universitäten und Fachhochschulen. Unser Verlag kooperiert zum Beispiel in der „Mainzer Medieninitiative“ mit dem ZDF und SWR. Es ist der gemeinsame Versuch,  in der universitären Ausbildung die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufstätigkeit zu schaffen. Es wird ein Medienzentrum geben, in dem Institute der FH und Uni zusammengelegt werden. Ziel ist die intensive Zusammenarbeit mit denen, die den Bedarf haben, um dieser immensen Geschwindigkeit folgen zu können. Da kommen Fragen wie, was muss ein Journalist in der Zukunft eigentlich können? Kann er auch Videos machen? Wie geht das mit Text? Auch da muss der Verband eine wesentliche Rolle spielen und die Herausforderung bezüglich neuer Schwerpunkte, zum Beispiel der sich rasant entwickelnden Technik, annehmen und zusammenarbeiten.

Sehr spannend sind diesbezüglich auch die Veränderungen in den Redaktionsstrukturen. Wenn früher die Älteren den Jüngeren Ratschläge gaben, unterstützen heute umgekehrt die Jüngeren die Älteren zum Beispiel bei der Einführung neuer Systeme, wenn mit neuen Oberflächen gearbeitet werden muss. Das wird in der Zukunft immer wieder passieren, dass die Jüngeren nachrücken und technische Veränderungen erklären werden.

DJV: Wie sehen Sie als Verband die Zukunft der Tarife? Haben Flächentarife eine Zukunft oder gibt es bald nur noch Verlage OT, wenn überhaupt dann mit Haustarifen?

Schnücker: Das ist eine der schwierigsten Fragen überhaupt und in dieser Diskussion stehen wir noch ganz am Anfang. Ganz eng hängt damit die Veränderung des Berufsbilds zusammen. Wofür werden Tarife definiert? In der Zukunft wird es den Rahmen für bestimmte Aufgaben nicht mehr geben, der klar definiert nach welchen Kriterien man in die nächste Gehaltsstufe steigt, welche Fähigkeiten dazugehören und wie man sich verhält, wenn tatsächlich die Mehrheit der Kunden das digitale statt das Printprodukt wählt. Deshalb glaube ich, dass die Diskussion wirklich erst am Anfang steht und dass sich alle Beteiligten diesen komplexen Fragen stellen müssen. Was sind die richtigen Mechanismen? Wie kann man das in der Zukunft abbilden?

Eine wesentliche Rolle spielt auch, zu welchen Konditionen man überhaupt qualifiziertes Personal bekommt. Gerade hier im Rhein-Main-Gebiet ist die Konkurrenz mit der öffentlich-rechtlichen Komponente und den Onlinediensten groß. Wie gestaltet sich die Zukunft bei der momentanen demografischen Entwicklung, wenn jetzt schon viele Firmen keine qualifizierten Mitarbeiter mehr finden? Wir haben viele junge Mitarbeiter in der Redaktion und ich spreche durch die Zusammenarbeit mit der Uni mit vielen jungen Studierenden. Ich stelle eine starke Ausrichtung auf Work-Life-Balance fest, mit der die jungen Leute nach Art amerikanischer Start Ups nicht mehr unbegrenzt arbeiten wollen. Nach der letzten Rheingold Studie haben wir es außerdem mit der so genannten „Biedermeier-Generation“ zu tun, die vor allem auf Sicherheit baut. Wie bekomme ich mit diesen Voraussetzungen also qualifizierte Mitarbeiter, die sich auch weiterentwickeln wollen im Unternehmen. Insofern habe ich keine Lösung dafür, aber das ist natürlich ein Thema, mit dem sich der Verband intensiv beschäftigen muss.

Ich hoffe, dass es mir gelingt in der Verbandsarbeit etwas zu bewegen. Es ist klar, es ist ein schwieriges Feld.

Das Interview mit dem Vorsitzenden des Verbands Hessischer Zeitungsverleger VHZV, Hans Georg Schnücker, führte Sonja Lehnert, Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit DJV Hessen.



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