Von der ARD „gepampert“?

Wiesbaden, 16.12.2014 – Diese und andere kritische Fragen beantwortete Richard Gutjahr, Blogger und freier Journalist, bei „Redakteur im Verhör" in der Hörfunkschule Frankfurt. Er arbeitet für die ARD, ist Moderator für den WDR und die Rundschau-Nacht des Bayrischen Rundfunks, schreibt für verschiedene Zeitungen und für Krautreporter.

Dennis Horn (l.), Moderator beim WDR, stellte Richard Gutjahr (r.) auch unbequeme Fragen.

Andreas Fauth, Chefredakteur der Multimediaredaktion des Medienhauses (r.), eröffnete den Abend.

Im Publikum saßen auch Dr. Gabriela Blumschein-Grossmayer (hinten l.), Vorstand DJV Hessen, und Maurizio Gemmer, Vorsitzender des DJV-Netzwerks Junge (hinten).

Fragen aus dem Publikum nahm Andreas Fauth entgegen.

Das Foyer der Hörfunkschule bot genügend Raum zum Netzwerken. Fotos: Sonja Lehnert

Gutjahr, geboren 1973 in Bonn, war Gast des Podiums „Redakteur im Verhör“ am vergangenen  Montag in der Hörfunkschule, wo es wieder einmal an der Zeit war, einen „Promi“ der Branche aufs Podium zu holen und ihm unbequeme Fragen zu stellen. Dennis Horn, Moderator beim WDR, setzte sich mit Gutjahr an einen Tisch und stellte ihn vor.

Gutjahr erzählte, dass ihn die Leidenschaft für den Journalismus gepackt hatte, als er ein Auslandsjahr an einer Highschool in Cheyenne, Wyoming, verbrachte und während dieser Zeit die Mauer fiel. Er verschaffte sich Zugang zu einem Highschool-Computer und zog aus der 1989 noch nicht wirklich digitalisierten Welt die Informationen aus Deutschland. Er wollte das Große, Spannende erfahren, das in der Welt geschah. Zurück in Deutschland, stieg er in die Redaktion der Schüler- und Abizeitung ein und setzte sich auch ans Layout.

Gutjahr sagte über sich: „Was ich nicht als Talent besitze, mache ich mit Penetranz,“ und bekam schließlich bei Radio Gong einen Praktikumsplatz, wechselte zu Bayern 3 und war dabei auch gleichzeitig Schüler der Deutschen Journalisten Schule in München. Seine Tagesabläufe begannen morgens um acht, neun Uhr mit ein oder zwei Vorlesungen an der Uni, nachmittags machte er Radio, ab 17 Uhr Fernsehen mit „Live aus dem Alabama“, dem wöchentlichen Jugendmagazin des Bayrischen Rundfunks (BR) und dann wieder zurück zum Radio, um die Spätsendung zu moderieren. „Ich bin bei den Öffentlich-rechtlichen zuhause," gestand er, „ich finde sie unheimlich gut."

Es sei, sagte er, nicht das Wichtigste bei einem Journalistik-Abschluss, zusätzlich Spezialgebiete studiert zu haben. Es komme auf das Interesse an der Sache an. Aber wem es Spaß mache, solle ruhig auch Wirtschaft studieren.
Gutjahr stieg auch beim Print ein. Er wurde Karikaturist bei der Süddeutschen Zeitung. „Die hatten 1996 für die Seite „Neue Technik“ nicht genug Autoren,“ lautete dazu sein Kommentar, „ und ich hatte auf einmal meine eigene Serie. Sie hieß „Helden der Technik“ und ich zeichnete zum Beispiel verzweifelte PC-Nutzer.“

Print, Hörfunk, Fernsehen –  Gutjahr hat alles schon gemacht. „Und wann begann das mit dem Bloggen?“, fragte Dennis Horn. Gutjahr erzählte die Geschichte von der Reise 2010 nach New York zum Apple Store in der 5th Avenue, wo er einer der ersten war, die ein iPad erstanden. Damit und darüber begann er direkt zu bloggen, denn es gab niemanden, der davon für Deutschland berichtete. Und plötzlich wollten ihn doch die deutschen Redaktionen interviewen. Gutjahr ist überzeugt, dass Bloggen guten Journalismus in keiner Weise in Frage stelle. Journalismus sei der Qualitätsgarant per se.

Seinen Blog-Höhepunkt erfuhr Gutjahr bei der Revolution in Ägypten, bei der er direkt vom Tahrir-Platz berichtete – und von seinem Chef beim BR angerufen wurde, in wessen Auftrag er das denn eigentlich mache. „Von wegen also gut verdienend bei der ARD mal ein bisschen Berichterstattung aus dem Urlaub. Ich hätte damit auch locker meinen Job verlieren können." Er habe seine Recherchereisen immer selbst finanziert, auch von Apple niemals umsonst Geräte genutzt, um sie zu porträtieren, wie ihm schon unterstellt wurde. Und schließlich: „Ich arbeite richtig viel. Gleich steige ich wieder in den Flieger, um nachher noch die Rundschau-Nacht zu moderieren."

Die Frage nach dem so genannten Marken-Erwachen, womit das Entstehen der Einheit unternehmerischer oder kulturschaffender Identität mit dem Erscheinungsbild gemeint ist, sei für ihn klar zu beantworten. Jeder Journalist sei eine Marke, glaubt er. Mit dem, was er gemacht habe, wollte er sich nicht profilieren, keine One-man-show veranstalten, sondern sich Gehör verschaffen. „Im Grunde wollen wir doch alle nur eine Geschichte erzählen," erklärte er. Vieles, was er gemacht habe, sei auch einfach untergangen und nie in der Öffentlichkeit erschienen. Und natürlich freue es ihn, wenn ihm eine 15-jährige Schülerin schreibt, die sich eigentlich gar nicht für Politik interessiere, dass sie sich gefühlt habe, als sei sie auf dem Tahrir-Platz dabei gewesen.

Dem Nachwuchs rate er, was er auch seinen beiden Kindern immer sage: „Aufstehen, abklopfen und weitergehen - follow your heart." Hartnäckigkeit zahle sich aus, man müsse in sich selber investieren, auch ohne eine Garantie zu haben.

Zum Abschluss stellte Dennis Horn die Frage nach der Stelle, an der wir, die Journalistinnen und Journalisten, der Journalismus, die Medien denn jetzt stünden und wie eine Mission Richard Gutjahrs aussehen könnte. Er könne in den Verlagen und bei den Sendern eine Experimentierfreude beobachten, egal ob Print, Online, Hörfunk oder Fernsehen, meinte Gutjahr, das freue ihn. Eine Mission habe er nicht, eher eine Vision: dass nämlich alles eine Einheit würde, nicht mehr unterschieden werden müsse zwischen Hörern, Lesern, Usern. „Ich habe das Gefühl, dass wir damit zu viel Zeit verlieren."

Fragen, die in der kurzen Zeit nicht mehr gestellt und beantwortet werden konnten, können Richard Gutjahr auf Twitter (@gutjahr) gestellt werden. „Ich beantworte sie alle," versprach er.

„Redakteur im Verhör“ ist eine gemeinsame Veranstaltung der Hörfunkschule Frankfurt und dem Deutschen Journalistenverband in Hessen (DJV Hessen). Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten können dabei von den Profis lernen und sich untereinander auszutauschen. Deshalb gibt es immer nach der Diskussion die Gelegenheit zum Netzwerken. sl

Archiv bis Oktober 2013

Dieser Link öffnet ein separates Fenster mit den Artikeln der bisherigen Homepage des DJV Hessen von 2004 bis zum Oktober 2013.

Termine