Recherchieren bis der Anwalt kommt

Und was kann ich jetzt überhaupt noch schreiben? Ohne befürchten zu müssen, dass ich oder mein Verlag dafür für teuer Geld in Regress genommen werden? Diese Fragen stellten sich nach der digitalen Diskussion unter dem Titel „Drohen, einschüchtern, klagen – juristischen Druckmittel bei konfrontativen Recherchen entspannt begegnen“, zu der der DJV im hr am Dienstagabend eingeladen hatte. Solche Überlegungen treiben offensichtlich nicht nur Redakteurinnen und Redakteure im Hessischen Rundfunk um. Der Impuls des Landesvorsitzenden Knud Zilian, den Verteiler zu weiten, erwies sich als treffend. Moderatorin Sylvia Kuck konnte eine ganze Reihe DJV-Mitglieder aus anderen Branchen in den digitalen Dialog einbinden.

Die Schlussfolgerung des Wiesbadener Medienrechtsanwalts Professor Dr. Christian Russ blieb bei aller Ernüchterung ermutigend: Aus Angst vor der eigenen Courage dürfen sich Journalistinnen und Journalisten nicht davon abhalten lassen, sauber zu dokumentieren und zu formulieren was ist. „Eine Presse, die aus Angst vor Repressionen nur noch lammfromm auftritt, verliert am Ende ihre Glaubwürdigkeit“, warnte Russ, der eine Reihe von Verlagen in Hessen berät und vertritt. „Wenn sich Veröffentlichungen auf reine Haus- und Hofberichterstattung reduzieren, rechtfertigt das die herausgehobene Stellung der Pressefreiheit nicht mehr.“ Auch in aufgeregten Zeiten und in einem zunehmend polarisierten Klima bewähren sich für ihn klassische Prinzipien des Publizierens: belegbare Äußerungen, zulässige Spekulationen, faire Schlussfolgerungen, stichhaltige Begründungen.

Juristische Einschüchterungsversuche können also am besten mit gewissenhafter Recherche abgewehrt werden. Wie das allem gewachsenen Gegendruck zum Trotz aussehen kann, schilderten Birgit Emnet und Volker Siefert aus ihrer Praxis. Die Investigativ-Journalistin des Wiesbadener Kuriers schilderte, wie massiv sie sich bei ihren Recherchen über Missmanagement und mögliche Veruntreuung bei der Arbeiterwohlfahrt in Wiesbaden unter Druck gesetzt fühlte, etwa von einem bekannten Medienanwalt, den ihre Gesprächspartner hinzugezogen hatten.  Der crossmediale hr-Reporter wird auch wegen seiner hartnäckigen Recherchen über extremistische Entwicklungen in Hessen immer wieder scharf attackiert.

Dass postwendend mit Unterlassungsaufforderungen, Abmahnungen und Gegendarstellungen gedroht wird - immer mehr auch bei vermeintlich nichtigen Anlässen - zeigten im Chat auch Beispiele im Lokalen. Dagegen und für die wehrhafte Verteidigung der Pressefreiheit, so waren sich die Diskutanten einig, hilft auf allen Ebenen nach wie vor die Besinnung auf drei journalistische Tugenden: unerschrocken recherchieren, ausgewogen dokumentieren und faktengetreu reproduzieren. Dagegen kommt auch ein gewiefter Anwalt nicht an. Andreas Lang

 

Eine ausführlichere Analyse lesen Sie im nächsten „Blickpunkt“.

A K T U E L L E S


Blickpunkt Ausgabe 1/2024

Im Frühjahrs-Blickpunkt lesen Sie

 

  • Wie KI in den journalistischen Alltag eingreift – und was Autoren davon haben
  • Wie der Hessische Rundfunk Personalmangel als Strukturreform kaschiert
  • Wie ein Magazin von Journalisten im Exil Landsleuten das Einleben erleichtert
  • Nach welchen Kriterien „Öko-Test“ letztlich seine Noten vergibt

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